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Du sitzt auf der Terrasse, bestellst einen Aperol Spritz – und plötzlich schmeckt das anschließende Dinner intensiver als sonst. Kein Placebo-Effekt: Die Wissenschaft hat jetzt nachgewiesen, dass ein Aperitif tatsächlich verändert, wie unser Gehirn Essen wahrnimmt. Und die Bitterstoffe im Aperol spielen dabei eine überraschende Doppelrolle.
Die Oxford-Studie: Tomatensuppe schmeckt nach Aperitif besser
Georgiana Juravle von der Alexandru Ioan Cuza University in Rumänien hat zusammen mit dem renommierten Charles Spence von der Oxford University eine bahnbrechende Studie durchgeführt. Das Ergebnis erschien erst im September 2025 im International Journal of Gastronomy and Food Science.
Die Forscher ließen Probanden Tomatensuppe probieren – einmal pur, einmal nach einem alkoholischen Aperitif. Das Ergebnis: Nach dem Aperitif schmeckte die Suppe deutlich intensiver und aromatischer. Der Grund liegt im Gehirn: Alkohol aktiviert den Hypothalamus, jene Region, die Appetit und Belohnung steuert. Eine frühere Studie der Indiana University zeigte bereits, dass Probanden nach Alkoholkonsum 7% mehr aßen – obwohl ihr Hungergefühl gleich blieb.
Aperol Spritz: Bitter macht hungrig und satt zugleich
Hier wird es spannend: Aperol enthält Bitterstoffe aus Rhabarber, Enzian und Bitterorange. Diese haben eine paradoxe Wirkung.
Bitterstoffe regen den Appetit an, indem sie Magensaft, Galle und Bauchspeicheldrüsensekrete aktivieren. Das klassische Volkswissen stimmt: Ein bitterer Aperitif bringt die Magensäfte zum Fließen und macht Hunger. Gleichzeitig dämpfen Bitterstoffe aber auch das Hungergefühl und verhindern Heißhungerattacken. Eine Studie der Universität Lübeck zeigte, dass Bittertropfen bei bestimmten Personen den Heißhunger signifikant reduzieren.
Meine Lösung dieses Widerspruchs: Bitterstoffe machen Appetit auf qualitatives Essen, hemmen aber übermäßiges Zugreifen. Perfekt für bewussten Genuss.
Der Aperol Spritz: Geschichte einer Ikone
Die Brüder Luigi und Silvio Barbieri erfanden Aperol 1919 in Padua als leichtere Alternative zum damals populären Americano. Die Spirituose enthält Bitterstoffe aus Rhabarber, Enzian und Bitterorange und hat nur 11% Alkohol.
Der Spritz selbst ist älter: Österreichische Soldaten in Venedig fanden lokale Weine zu herb und verdünnten sie mit einem „Spritzer“ Sodawasser – daher der Name. Erst in den 1950er Jahren kombinierte man Aperol mit Prosecco und Soda zum heute weltberühmten Aperol Spritz.
Das Originalrezept: 3 Teile Prosecco (90 ml), 2 Teile Aperol (60 ml), 1 Teil Sodawasser (30 ml), Eis und eine Orangenscheibe. Dieses 3:2:1-Verhältnis sorgt für die perfekte Balance zwischen süß, bitter und spritzig.
Was bedeutet das für deinen Genuss?
Der Aperol Spritz vereint beide Effekte: Alkohol öffnet den Appetit durch Aktivierung des Hypothalamus, Bitterstoffe regulieren die Verdauung und verhindern übermäßiges Essen.
Eine Studie der Indiana University aus 2015 zeigt das eindrücklich: Forscherin Rebecca Krimm verabreichte 35 Frauen intravenös Alkohol – und umging damit komplett den Verdauungstrakt. Das überraschende Ergebnis: Die Probanden aßen 7% mehr, obwohl das Hungerhormon Ghrelin signifikant sank. Das Gehirn zeigte beim Riechen von Essensaromen eine deutlich höhere Aktivität im Hypothalamus – Essen wurde buchstäblich attraktiver für das Belohnungssystem.
Genau deshalb funktioniert der Aperitif seit Jahrhunderten als Einstieg ins Dinner: Er macht nicht hungrig im klassischen Sinn, sondern steigert die Vorfreude aufs Essen.
Auf tasteandstories.com haben wir bereits über die Bedeutung von Gewürzen und Kräutern geschrieben – auch dort spielen Bitterstoffe eine zentrale Rolle. Und wer sich für den fünften Geschmack interessiert, findet bei uns einen Artikel zu Umami und seiner Wirkung.
Praxis-Tipp: Probier beim nächsten Dinner bewusst einen Aperol Spritz 30 Minuten vor dem Essen. Achte darauf, wie sich deine Wahrnehmung des ersten Gangs verändert – die Aromen werden intensiver, das Essen bekömmlicher.
Übrigens: Die Angst vor krebserregenden Farbstoffen im Aperol ist wissenschaftlich nicht belegt. Der Faktencheck zeigt: Die verwendeten Farbstoffe sind in den üblichen Mengen unbedenklich. Ich persönlich mag den normalen Aperol sowieso nicht und kaufe lieber diesen Bio-Veneziano:

Deine Erfahrung: Trinkst du vor dem Essen gern einen Aperol Spritz? Hast du schon mal bewusst darauf geachtet, wie sich der Geschmack des Essens danach verändert?
Quellen:
- ora.ox.ac.uk – Juravle & Spence: Enhancing the flavour of tomato soup with an alcoholic appetiser (2025)
- pmc.ncbi.nlm.nih.gov – The Apéritif Effect: Alcohol’s Effects on the Brain (Indiana University Study, 2015)
- netdoktor.de – Bitterstoffe: Wirkung und Anwendung
- foodwatch.org – Bitterstoffe und Verdauung
- aperol.com – Aperol Spritz Originalrezept
- sprizzer.com – Geschichte des Aperol Spritz
- bitterliebe.ch – Studien zu Bitterstoffen und Appetit
- gerolsteiner.de – Bitterstoffe: Wirkung, Anwendung & Lebensmittel