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Stell dir vor, du gehst an einem Weizenfeld vorbei und siehst nicht das gewohnte Einerlei, sondern ein wildes Durcheinander: Hier ein hoher Halm mit Grannen, dort ein kleinerer ohne, mal goldgelb, mal noch grün, mal dazwischen. Heterogene Weizenpopulationen sehen chaotisch aus – sind aber gerade der große Hoffnungsträger im Kampf gegen den Klimawandel.
Heterogene Weizenpopulationen nennen Fachleute dieses Phänomen. Anders als bei herkömmlichen Weizensorten, bei denen alle Pflanzen genetisch identisch sind, wachsen hier Hunderte verschiedene Weizentypen wild durcheinander auf einem Feld. Was zunächst nach einem Rückschritt klingt, könnte die Landwirtschaft revolutionieren.
Heterogene Weizenpopulationen: Vielfalt als Überlebensstrategie
Der Gedanke dahinter ist simpel: Während eine einheitliche Sorte bei Trockenheit, Schädlingen oder Krankheiten komplett ausfallen kann, gibt es in einer Population immer ein paar Pflanzen, die damit klarkommen. Während manche Halme bei Hitze schwächeln, trotzen andere der Dürre. Kommt ein neuer Pilz, hat dieser zumindest bei einem Teil der Pflanzen keine Chance. Das Ergebnis: stabilere Erträge, selbst wenn das Wetter verrückt spielt.
Die Forschung bestätigt das eindrucksvoll. Im dreijährigen BAKWERT-Projekt der Universität Kassel wurden heterogene Weizenpopulationen wie Brandex und EQuality mit klassischen Hochleistungssorten verglichen. Das überraschende Ergebnis: Die Erträge der Populationen waren vergleichbar mit denen der Elitesorten, aber die Qualität schwankte deutlich weniger. Konkret: Die Schwankungen beim Proteingehalt lagen um 28 Prozent niedriger, beim Feuchtklebergehalt um 22 Prozent.
Was moderne Züchtung falsch gemacht hat
Hier zeigt sich das Kernproblem der modernen Weizenzüchtung: Sie hat über Jahrzehnte hinweg auf genetische Vereinheitlichung gesetzt. Alle Pflanzen einer Sorte sind Klone – perfekt optimiert auf maximalen Ertrag unter idealen Bedingungen. Doch was passiert, wenn die Bedingungen nicht ideal sind? Genau.
Das ist der Grund, warum alte Getreidesorten oder UrDinkel wieder im Kommen sind. Sie wurden nicht auf Hochleistung gezüchtet, sondern auf Anpassungsfähigkeit. Ähnlich wie Kamut, die alte Khorasan-Weizensorte, die bis heute mit extremen Bedingungen klarkommt – von Trockenheit bis Überschwemmung.
Heterogene Populationen gehen noch einen Schritt weiter: Sie kombinieren die genetische Vielfalt alter Landrassen mit den Vorteilen moderner Züchtung. Züchter wie die Forschung & Züchtung Dottenfelderhof kreuzen mehrere Hochleistungssorten und lassen die Nachkommen dann gemeinsam weiterwachsen. Das Besondere: Diese Populationen passen sich über die Jahre eigenständig an ihren Standort an. Die OpenSource-Population EQuality geht sogar noch weiter: Sie ist frei lizenziert, jeder darf sie nutzen und weiterentwickeln – ganz ohne Patente.
Vom Acker bis zur Backstube
Vierzehn handwerkliche Bäckereien backten mit Populationsweizen und waren begeistert: Die Backeigenschaften waren vergleichbar mit klassischem Qualitätsweizen. Unter dem Namen POP-Kruste verkauften sie Brote aus diesem Zukunftsweizen – und erzählten ihren Kund:innen die Geschichte dahinter.
Passt das zu Dir?
Heterogene Weizenpopulationen sind keine Exoten mehr. Seit 2016 sind die ersten Populationen offiziell als Sorten zugelassen. Für Landwirt:innen im Biobereich sind sie eine echte Alternative, besonders wenn Wetterextreme zunehmen. Für Bäckereien bieten sie die Chance, sich mit regionalen, nachhaltigen Produkten zu profilieren – ähnlich wie bei gutem handwerklichen Brot.
Und als Konsument:in? Du unterstützt mit dem Kauf von POP-Kruste oder anderen Populationsprodukten eine Landwirtschaft, die genetische Vielfalt erhält statt sie zu vernichten. Mehr Biodiversität auf dem Acker, weniger Abhängigkeit von Pestiziden, stabilere Ernten trotz Klimawandel. Genau das, worum es bei nachhaltiger Ernährung gehen sollte.
Hast du schon einmal Brot aus Populationsweizen probiert? Oder kennst du eine Bäckerei, die damit experimentiert? Erzähl uns davon in den Kommentaren!
Quellen: