Eine feine Balsamessig, Obstsorten, DOP und IGP? Was macht eigentlich den Unterschied bei Essig? Wie entsteht Essig, wie verwendet man ihn und warum schmecken wir überhaupt Saures? Es gibt viele Gerichte, bei denen Säure eine dominante Rolle spielt. Zum Beispiel bei Ceviche, also rohem Fisch mit Zitronensaft mariniert (↑ siehe Wiki), oder in essiglastigen Salatdressings. Säure ist außerdem auch in fast allen Saucen essentiell, um ein rundes Gesamtergebnis zu erhalten. Hier kommt die Säure oft automatisch von Tomaten oder wird mit einem Schluck Essig oder einem Spritzer Zitrone nochmal hervorgehoben. Andererseits warnt uns Säure vor unreifen Früchten oder schlechtgewordenem Fleisch. Als Kinder mögen wir selten säuerliche Gerichte. Von Geburt an sind wir eher auf umami, süß und salzig programmiert. Säure signalisiert uns zunächst Gefahr. Wenn wir älter werden und die gute von der schlechten Säure zu unterscheiden gelernt haben, dann macht diese allerdings zumeist tatsächlich lustig. In dieser STORY wollen wir etwas intensiver hinter den Geschmack „Sauer“ blicken und vor allem Essig als Lebensmittel genauer unter die Lupe nehmen, um letztendlich zu erfahren, ob sauer lustig machen kann. 

Wie entsteht Essig?

Essig entsteht durch das Vergären einer alkoholischen Flüssigkeit. Meistens vergärt eine Obstsorte und der entstandene Alkohol wird von Essigbakterien zu Säure verwandelt.

Der Mensch weiß schon lange vom Vergären und Fermentieren von Lebensmitteln, ohne die Hefen und Bakterien zu kennen, die dieses auslösen. Essig ist eines der ältesten Lebensmittel überhaupt und bereits seit 4.000 vor Christus dokumentiert. Aber erst seit ca. 150 Jahren wissen wir von den Essigbakterien, können diese isolieren und ähnlich wie bei moderner Backhefe ganz spezifisch, mit einem genau abgestimmten Endergebnis, einsetzen.

Supermarktessige werden heute zumeist unter sterilen Bedingungen ganz gezielt mit spezifischen Essigsäurebakterien geimpft und im Schnellverfahren in nur 24 Stunden produziert. Das Ergebnis ist dementsprechend meistens auch relativ flach.

Das leuchtet ein, wenn man betrachtet, wie dieser Prozess grundsätzlich funktioniert: Die Essigsäurebakterien wandeln mit Hilfe von Sauerstoff Alkohol zu Essig um. Dabei kann man bei der langsamen Produktion ohne beschleunigte Verfahren eine glibberige Masse in der Flüssigkeit sehen. Die sogenannte Essigmutter ist ein Zusammenschluss von sehr vielen Essigbakterien. Bei einem Säuregehalt von 15% sterben die Essigbakterien in der Flüssigkeit selber ab. Essig kann also nicht mehr als 15% Säure enthalten. Dieser Prozess dauert und ist von der Pflege der Essigmutter, dem Klima, der Handwerkskunst und dem gesamten Umfeld abhängig und damit auch extrem vielschichtig.

Essig kann außerdem im Anschluss gelagert werden und wird durch Holz und Klima beeinflusst. Durch die Zugabe von Kräutern oder Obst kann der Essig dann zusätzlich aromatisiert werden, so dass die Aromenvielfalt nochmal deutlich gesteigert wird. Für Hildegard von Bingen waren Kräuteressige wichtige Heilmittel.

Aceto Balsamico / Balsamessige

Bei Balsamessig oder Aceto Balsamico wird Traubensaft bzw. -most oder ein anderer Obstsaft langsam eingekocht und somit eingedickt. Bei Guerzoni erfolgt das beispielsweise ganz traditionell über einem Feuer in über 36 Stunden. Der Essig wird also nicht direkt aus einer alkoholischen Flüssigkeit mit einer Essigmutter gemacht. Vielmehr vergärt der Saft zu Alkohol und der Alkohol zu Essig. Beide Prozesse laufen parallel ab. Der ganze Prozess benötigt mehr Zeit als bei der gewöhnlichen Essigherstellung.

Balsamico-Essig-Trauben

Balsamessige passen durch ihre Balance aus feiner Säure und zarter Süße sehr gut zu vielen Speisen, wie Parmesanstücke, Pizza, Risotto, Erdbeeren, Eis und natürlich Salat. Balsamessige verwendet man zum Schluss und gibt ihn meistens direkt auf das Essen, bzw. zum Abschmecken an Suppen und Saucen. Balsamessige bringen nicht nur Säure und Süße mit, sondern ein sehr breites Spektrum an Aromen, das durch die lange Lagerzeit immer größer wird.

Bei Aceto Balsamico Traditionale wird 100% eingekochter Traubenmost über eine sehr lange Zeit in unterschiedlichen Holzfässern gelagert. Die Abfüllung wird direkt unter Kontrolle des Konsortiums in standardisierten 100ml Flaschen vorgenommen. Die Bezeichnung ist DOP-geschützt.

Der langsame Essigprozess bei Traditionale ist kompliziert und es kommt nicht selten zu Problemen. So können andere Bakterienkulturen die Essigbakterien zerstören und den Versaurungsprozess beenden.

Aceto-Balsamico-Tradizionale

Aceto Balsamico di Modena oder Reggio Emilia ist eine von der EU-geschützte Herkunftsbezeichnung (IGP, in Deutschland ggA – geschützte geografische Angabe). Der Essig darf nur in der Region produziert werden. Der Traubenmostanteil ist variabel und wird durch Wein ergänzt. Auch darf Zuckercoleur hinzugefügt werden, um Farbe und Geschmack zu beeinflussen (Allerdings nicht bei unseren Balsamessigen von Gölles oder Guerzoni).

Was macht natürlichen Gourmetessig aus?

Die Qualität des Obstes steht ganz am Anfang und ist damit auch entscheidend für das Endresultat. Egal, ob Weintrauben, Äpfel oder Himbeeren: es stellt sich immer die Frage, ob das Obst reif geerntet und sorgfältig zu Saft verarbeitet wurde. Wird es von Erntemaschinen mit faulen Früchten geerntet, oder wählen Hände sorgfältig aus und lesen Faules und Verschmutztes sowie Stiele aus?

Im zweiten Schritt ist wichtig, wie aus dem Obstsaft Alkohol produziert wird. Welche Hefen werden verwendet? Findet der Prozess im Holzfass statt? Wird der Umwandlungsprozess stark beschleunigt?

Auch bei der Verwandlung des Alkohols zu Essig ist wichtig, welche Essigsäurebakterien bzw. Essigmutter verwendet wird: Ist diese gut gepflegt? Entsteht der Essig im Holzfass und lässt man ihm Zeit? Wie wir das Fass belüftet, welchen klimatischen Bedingungen ist es ausgesetzt? Wird die notwendige Zeit investiert, den Prozess zu überwachen und mit Handwerkskunst einzugreifen? Welche Erfahrung hat der Essigmacher?

Abschließend reifen viele Essige wieder in Fässern. Auch hier ist Geduld gefragt. Wie werden unterschiedliche Holzfässer kombiniert und wo wird der Essig gelagert?

Bei gewöhnlichem Supermarktessig wird meist aus Alkohol Essig innerhalb von 24 Stunden produziert. Dieser wird mit Aromastoffen versetzt. Natürlich gibt es zwischen dem  industriellen und dem natürlichen Verfahren eine Menge Mischformen. Am meisten Aromen und Geschmack bekommt man aber, wenn der Essig von Menschen und seiner Umgebung möglichst lange „geformt“ wird.

Essig-Lagerung
Essig-verschiedene-Sorten

Essig selbst herstellen

Lässt man Wein – am besten möglichst natürlichen ohne viel Schwefel – lange stehen, dann wird aus diesem ganz automatisch Essig. Die Frage ist nur, schmeckt dieser auch?

Wenn man der Natur ihren freien Lauf lässt, dann ist das Ergebnis nicht unbedingt als Genussprodukt geeignet. Denn verschiedenste Bakterien verursachen unterschiedlichste Ergebnisse. Diese kurze Anleitung hilft auch dabei zu verstehen, wie Essig entsteht.

  • Wein oder Fruchtmost auf 60 Grad erhitzen, um unerwünschte Bakterien abzutöten
  • Glasbalon mit ca. 30 Litern Fassungsvermögen für 1 Liter Most und ¼ Liter Essigmutter (kann man auch kaufen)
  • Öffnung des Gefäßes mit einem Tuch verschließen, damit Luft hinenkommt, aber kein Staub oder Fruchtfliegen.
  • Lagerung bei 26- 28 Grad. Temperatur ist wichtig!
  • Weitere 4 Liter Most nach 4 Wochen hinzufügen.
  • Weitere 5 Liter Most nach 2 Wochen hinzufügen.
  • Weitere 10 Liter Most nach 2 Wochen hinzufügen.

Essig testen und wenn der Säuregehalt ausgewogen erscheint, Filtern und Abfüllen.

Wenn Ihr tatsächlich selber Essig machen möchtet, dann empfehle ich „Das Buch vom guten Essig“. Dieses erklärt die oben genannten Schritte deutlich ausführlicher.

Sauer schmecken

Wenn wir auf die Welt kommen, dann schmeckt die erste Nahrung, die Muttermilch, weder bitter noch sauer. Wir schmecken in ihr vor allem das Umami wegen der wichtigen Proteine, die Süße wegen nährstoffreichen Kohlenhydraten und das Salzige wegen der Mineralstoffe. Alle drei Stoffe sind lebensnotwendig. Würden wir auf diese verzichten, würden wir sehr schnell an Mangelerscheinungen leiden.

Bei Bitter und Sauer ist nicht sofort klar, warum wir es eigentlich essen sollten. Ist es nicht eher sogar so, dass uns unser Verstand bei Saurem eindringlich warnt? Viele Dinge, die sauer schmecken, sind verdorben oder schlecht, wie Milch, Fleisch oder auch Früchte. Evolutionär verbinden wir mit Bitterem und Saurem sehr heftige Warnmeldungen. Außerdem wird viel davon gesprochen, dass unsere Ernährung uns sowieso übersäuert.

Bitter und Sauer sind also Geschmacksqualitäten, die wir zunächst erlernen müssen. Wir lieben sie nicht von Haus aus, wobei die meisten Menschen in ihrem Leben früher oder später lernen, dass Saures sehr wohl gut schmeckt und auch nahrhaft sein kann.

Bereiche-des-menschlichen-Schmeckens

Eines vorweggenommen: Saure Speisen wie Essig oder Zitrone bewirken keine Säuerung des Körpers. Der Säure-Basenhaushalt im Körper wird durch Essig und Zitronen basischer, da beides basisch verstoffwechselt wird. Entscheidend ist nicht, ob etwas sauer schmeckt, sondern was darin steckt. So sind die meisten süßen Lebensmittel säurebildend im Körper, egal ob Zucker oder Mehl und Früchte; vieles Süße säuert.

Warum soll aber Saures so wichtig für uns sein, obwohl es doch oftmals unreif, verdorben oder gar giftig ist? Wir wissen heute vor allem, dass die Säure in unseren Speisen die Bauchspeicheldrüse und die gesamte Verdauung anregt. Essig hilft, schwer verdauliches, wie Salat oder Hülsenfrüchte, besser zu verdauen. In einem guten Linseneintopf muss deswegen unbedingt Essig, in eine türkische Linsensuppe Zitrone.

Natürlich hat Saures noch einiges mehr zu bieten, als nur die Magensäfte anzuregen. In gutem Essig, in Zitrusfrüchten oder in Milchsäure-Produkten sind Vitamine, Mineralstoffe und vieles mehr enthalten.

Viel mehr geben die Recherchen zur Bedeutung von Saurem in unserer Nahrung aus wissenschaftlicher Perspektive nicht her. Mir reicht das aber, denn wenn Ihr kocht, dann wisst Ihr wie wichtig bei vielen Gerichten die feine Balance aus Süß und Sauer ist, um ein Gericht auszubalancieren. Das uns diese Balance so gut schmeckt, reicht eigentlich schon Sauer zu mögen.

 

Essig Warenkunde

Ähnlich wie bei Wein ist die Ausgewogenheit im Gechmacksbild ein Indikator für guten Essig. Probiert mal unsere Essige von Gölles und Guerzoni und erlebt die ausgewogene Harmonie im Vergleich zu Supermarktessig.

Mit gutem Essig könnt Ihr dann versuchen, weniger Salz zu verwenden, dennmit ein bisschen mehr Säure verlangen Eure Geschmacksknospen nach weniger Salz. Der Geschmackssinn ist sehr komplex und noch nicht sonderlich gut erforscht. Studien zeigen aber, dass bei einer ausgewogenen Ernährung, die auch Bitter und Sauer beinhaltet, das Verlangen nach Zucker und Salz insgesamt abnimmt.

Eintöpfe werden durch Essig bekömmlicher, da gerade Hülsenfrüchte schwer zu verdauen sind. Das gleiche gilt auch für faserreichen Salat. Essig bewirkt nämlich, dass die Bauchspeicheldrüse selbst stärker arbeitet und damit der ganze Verdauungsprozess angeregt wird.

Als Marinade zersetzt Essigsäure die Proteine im Fleisch und macht es zarter.

Aceto Balsamico Traditionale sollte man nur Tröpfchenweise über fertige Speisen geben, um die Aromenvielfalt nicht zu beeinflussen. Ihn zu verkochen und die Aromen darin zu reduzieren, wäre schade.

Die jüngeren Balsamessige eignen sich auch zum Kochen. Zum Einkochen sollte man Essig statt Balsamessig nehmen, da die Säure durch den Kochprozess sowieso ausgeglichen wird.

Bis zum ersten Weltkrieg war es normal, einen Schuss Essig ins Wasser zu geben, vor allem wegen der oft schlechten Wasserqualität. Der Vorläufer der Limonade war also sauer. Heute ist die Wasserqualität natürlich besser, trotzdem solltet Ihr es mal testen. Im „Buch vom guten Essig“ gibt es sehr viele anregende Ideen, warum es beispielsweise sehr belebend und gesund sein kann, morgens ein Glas Essigwasser zu trinken. Essig als Aperitif oder Digestiv hilft der Verdauung und regt an.

Lagerung von Essig

Essig hat kein Haltbarkeitsdatum und ist grundsätzlich unbegrenzt haltbar. Allerdings können sich beim sehr süßen Balsamico durchaus auch Hefen an der Oberfläche halten. Es ist also durchaus möglich, dass er schimmelt. Um die Aromen des Essigs möglich zu erhalten, empfiehlt sich eine kühle und dunkle Lagerung.

Pochieren und Eier mit Essig kochen

Essig senkt den PH-Wert im Wasser, was dazu führt, dass das Eiweiß deutlich schneller gerinnt.

Am besten Ihr nehmt einen möglichst geruchlosen Essig – oder Ihr nehmt einen gerade nicht geruchlosen aromareichen, weil Ihr ein bestimmtes Säurearoma am Ei möchtet?

Einfach mal ausprobieren.